immoSpezial 29.10.05

In jeder Wand stecken Welten

Die eigenen vier Wände sind der Traum vieler Menschen. Doch manch einer, der sie schließlich erworben oder gebaut hat, mag nach einiger Zeit feststellen, daß ihnen irgend etwas fehlt. Ein Bild vielleicht, ein Farbton oder ein Muster. Oder irgend etwas mit Pfiff. Mit all dem können Stephanie Hoyos und Sophie-Melanie Trauttmansdorff dienen, die sich mit heimischer Kunst am Bau eine Existenz aufgebaut haben. Illusionsmalerinnen geben die beiden Österreicherinnen als Berufsbezeichnung an.

Weiße Wände inspirieren die beiden zu echten Kunstwerken, und so verwandeln sie ausdrucksloses Gemäuer in toskanische Landschaften, die dem Raum eine fast unendliche Weite verleiht, in tropische Meere mit exotischen, bunten Fischen oder in das Abbild eines Heißluftballons. Auch einen barocken Prunksaal lassen die beiden mit Farbe, Imagination und Können entstehen. Erst bei genauem Hinsehen oder gar Berühren wird der Betrachter verblüfft feststellen, daß die Brokattapete keine Brokattapete, die schweren Vorhänge keine Vorhänge und die Fenster keine Fenster sind, sondern ?nur" Farbe. Tierabbildungen etwa wirken oft so echt, daß der Betrachter zurückzuckt, weil er den Gecko auf der Wand für lebendig hält.

Alles ist möglich. Entweder hat der Auftraggeber bereits eine Vorstellung oder Stephanie Hoyos und Sophie-Melanie Trauttmansdorff lassen sich von der Örtlichkeit inspirieren. ?Meistens wissen wir sehr schnell, was an einen bestimmten Platz gehört", sagt Stephanie Hoyos, die seit kurzem in Berlin lebt und von hier aus die Aufträge koordiniert. ?Wir kommen immer vorher vorbei, sehen uns alles an, machen Skizzen, beraten und zeigen Fotos von unseren Arbeiten." Die dekorative Kunstmalerei ist für beide eine Passion, mehr sogar: ?Das ist für uns das Leben", so Stephanie Hoyos. ?Von der Akquise und Anreise über die Entwürfe und den eigentlichen Auftrag bis hin zur Recherche und Büroarbeit bleibt auch gar nicht viel Zeit für anderes."

Recherche und Fortbildung in Eigenregie sind für die beiden Künstlerinnen das Wichtigste: So gehört nicht nur ein Lagerraum mit allen nur denkbaren Farben und mehr als 40 verschiedenen Pinselsorten zum Geschäft, sondern auch ?eine riesige Bibliothek", in der sich so ziemlich jede Thematik findet, die am besten in Fotobänden aufgehoben ist - von der kunst-geschichtliche Ornamentik bis hin zu Tieren und Landschaften. Schwimmbäder, Restaurants, Lagerhallen, Tiefgaragen, Häuser und Wohnungen - der Arbeitsplatz ist überall. Und auch auf die Größe kommt es nicht. Monumentalwerke, die sich nur mit Gerüsten bewerkstelligen lassen, oder ein kleines Fleckchen im Badezimmer werden mit gleichem Enthusiasmus gestaltet. Verlangt wird eine Pauschale von 110 Euro pro Quadratmeter zzgl. Material und Mehrwertsteuer.

Eine herkömmliche Zimmertür wird zu einem rustikalen WC mit Herz und bayerischem Flair (Photo links). Dieses Schwimmbad war einst ein ungemütlicher Raum mit kahlen, weißen Wänden - nun fühlt sich der Benutzer, als bade er inmitten der Natur. Die beiden Künstlerinnen. Sophie-Melanie Trauttmansdorff (links) und Stephanie Hoyos (rechts) vor einer nur mit Pinsel und Farbe geschaffenen Parklandschaft.

Von Jochen Clemens