Schaufenster 19.4.02

ZWEI JUNGE ÖSTERREICHISCHE KÜNSTLERINNEN SOPHIE TRAUTTMANSDORFF UND STEPHANiE HOYOS, GEHEN ALTEN KUNSTHANDWERKSTRADITION NACH. NACH ILLUSIONS- UND SCHEINMALEREI LERNEN SIE JETZT IN RUSSLAND EINE NEUE/ALTE HANDWERKSTECHNIK, DIE HERSTELLUNG VON KUNSTMARMOR.

VON GABRIELE PRASCHL-BICHLER

Wie gelangte in früheren Epochen, in einer Zeit ohne Schlepper, Kräne und Flugzeuge, Baumaterial für eine Burg auf einen felsigen Berg, auf den meist nicht mehr als ein schmaler Grat führte? Und wer beförderte die Hunderttausende Tonnen von italienischem Marmor an die Pforten der mitteleuropäischen Schlösser, Paläste und Kirchen, damit sie dort zu Kunstwerken gehauen werden konnten?

Während die erste Frage einfach zu beantworten ist - seit der Antike wurde das meiste über Balken mit Flaschenzüge aufgezogen -, klingt die ebenso schlichte Antwort auf die zweite Frage eher verblüffend: Es wurde kaum Marmor herumgeführt, da das meiste, was wie polierter Stein aussieht, gar keiner ist.

Und warum das?

Weil es damals für den Marmortransport weder passende Fahrzeuge noch Wege gab. Außerdem war die Arbeit mit "Kunststein" schneller vollendet, was den prachtliebenden Bauherrn sehr entgegenkam, die die die Fertigstellung ihrer Paläste erleben wollten. Frage Nummer vier: Woraus hat man die Säulen, Sockeln, Platten und Figuren denn dann gefertigt, wenn nicht aus Marmor? Noch eine einfache Antwort: Sie wurden in "Scagliola"- oder "Stucco lustro"-Technik hergestellt. Zugegeben, doch keine einfache Antwort.

Denn selbst, wenn man sich unter "Stucco lustro" ("glänzendem Stuck") irgendetwas vorstellen kann, werden wohl nur wenige etwas mit dem Begriff "Scagliola" anfangen können. Übersetzt heißt das Wort unter anderem "Alabasterglas", also Glas, das so aussieht wie Alabaster, "Scheinalabaster". Das kommt der Idee von Kunststein schon sehr nahe. Noch bessere Auskunft gibt die deutsche Form des Zeitwortes "scagliare". Es heißt nämlich "schleudem" und spricht damit schon auf die Technik an, denn diese bunt gefärbte Paste mehr ist Scheinmarmor in seinem Anfangsstadium nicht - wird, wenn schon nicht geschleudert, zumindest sehr schwungvoll aufgetragen.

Heute beherrschen nur noch wenige europäische Künstler das traditionelle Handwerk, Marmor auf künstlichem Weg herzustellen. Zu diesen wenigen gehören Sophie Trauttmansdorff und Stephanie Hoyos, die sich vor kurzem beruflich verändert und dieser historischen Kunst verschrieben haben (ursprünglich haben die beiden Damen ihre Laufbahn als Illusions- und Dekorationsmalerinnen begonnen und beherrschen damit noch ein altes Handwerk: Sie fertigten Bilder und Fresken in "Trompe l'oeil"-Technik - gemalte Architekturen oder Landschaften, die das "Auge täuschen".

 Den Wechsel von der Scheinmalerei zur Herstellung von Scheinmarmor haben sie im vergangenen Sommer anläßlich einer Reise nach Sankt Petersburg vollzogen und sind von dort reich an Eindrücken und Erfahrung zurückgekehrt.

"Man kann sich gar nicht vorstellen, welche Menge an Kunstwerken dort noch vorhanden ist. Wieviele Schlösser, Kirchen, Sammlungen schwärmen die beiden Damen, die aus Rußland auch jede Menge Photos mitgebracht haben, "Vieles ist oder war beinahe vollständig zerstört wie das Mihailowski-Palais, an dessen Wiederherstellung wir im vergangenen Jahr mitwirken durften." Besonderen Eindruck hat den Künstlerinnen der Eifer der Russen hinterlassen, mit dem sie an die Wiederherstellung ihrer traditionsreichen Bauten gehen. "Und die Arbeitsmittel... Man glaubt gar nicht, mit wie wenigen Werkzeugen, Geräten und Maschinen man dort auch heute noch, zwölf Jahre nach der Öffnung, sein Auskommen finden muß. " Der unübersehbare Vorteil: Mangels technischen Fortschrittes beherrschen russische Handwerker noch immer die Techniken ihrer Vorgänger aus der Geschichte. Sankt Petersburg wird nach altem Vorbild neugeboren.

Trauttmansdorff und Hoyos erzählen von umfangreichen Arbeiten an zerstörten Gebäuden, die mittlerweile wieder in neuer Pracht erstrahlen. "Im Mihalowski-Palais z. B. hat man - treu den Originalen folgend jede Mauer neu aufgezogen, jede Säule, jede Plastik, jede Wandverkleidung und jedes Fresko neu gestaltet." Wenn die Arbeiten an diesem Palast mittlerweile auch vollendet sind, so warten in der ehemaligen Zarenresidenz neue Herausforderungen. Und die beiden Künstlerinnen aus Österreich werden wieder dabeisein.

INFOS: SOPHIE TRAUTTMANSDORFF UND STEPHANIE HOYOS,
FAX: 011699 29 27

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